
Theater der Umgesiedelten
Politisch motivierte Umsiedelungen ganzer Bevölkerungsgruppen sind im 20. und 21. Jahrhundert ein konstantes und global verbreitetes Phänomen. Das architektonische Forschungsprojekt "Theater der Umgesiedelten" geht diesem Phänomen mit einem vergleichenden Ansatz nach: Umsiedlungsereignisse nach dem 2. Weltkrieg in Oberägypten werden mit solchen in Mecklenburg-Vorpommern (DDR) in Beziehung gesetzt. Grundlage des Forschungsprojektes bilden zwei Theater bezogene Bildarchive, die – nach umfangreichen Recherchen in Kairo und Berlin – im Rahmen dieser Ausstellung zum ersten Mal zusammengeführt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Bei den beiden Archiven handelt es sich zum einen um ethnografisch bedeutsames Bildmaterial aus dem Nachlass des ägyptischen Architekten Hassan Fathy. Es zeigt Theateraufführungen der Bewohner des Umsiedler-Dorfes New Gourna bei Luxor, in dem für sie errichteten Lehmziegel-Theater. Fathy hatte das Theater, zusammen mit dem Rest des Dorfes 1948-1954 geplant und unter Partizipation der Bewohner errichtet. Das zweite Bildarchiv zeigt Szenen aus der Uraufführung des Theaterstücks Die Umsiedlerin von Heiner Müller. Das Stück wurde, nachdem es im Rahmen der zweiten Studenten-Theaterwoche der DDR am 30. September 1961 in der Aula der Hochschule für Ökonomie Berlin-Karlshorst uraufgeführt wurde, sogleich wieder verboten. Im Kontext der Kollektivierung und Industrialisierung der Landwirtschaft der DDR nach 1945 thematisiert Müller in seinem Stück die enormen Schwierigkeiten, die neue gesellschaftliche Ordnung auf dem Land zu etablieren. Für 15 Jahre durfte das Stück in der DDR nicht mehr gespielt werden. Mich interessiert weniger der historiographische Aspekt des Archivmaterials als vielmehr das damit verbundene Potential zur architektonischen Imagination einer neuartigenKultur der kulturell Entwurzelten. Die Architektur der nächsten Gesellschaft wird sich nicht mehr allein auf das Rationalitäts- und Kunstverständnis westlicher Nationen verlassen. In der Ausstellung werden Szenen einer Umsiedelung gezeigt, wie ich sie mir im Kontext der Umsiedelung des ägyptischen Grabräuberdorfes Gourna (nach New Gourna) vorstelle: Die Bildanordnung auf den beiden Tischen folgt dabei dem Spielverlauf der insgesamt 15 Szenen in Müllers Stück. Das Stück fungiert als eine Art Lesehilfe, die die Schwierigkeiten erahnen lässt, mit denen Fathy beim Bau des Dorfes konfrontiert war. Eines der am schlechtesten verstandenen Aspekte von New Gourna sind die renitenten Umgesiedelten, die den ihnen versprochenen Fortschritt nicht annehmen wollen.