Die Wiederkehr des Klimas. Urbane Kulturen der Belüftung in Südostasien

"Das vorliegende Heft, das unseren Vietnamfokus abschließt, konstatiert einen Paradigmenwechsel im Umgang mit den Herausforderungen des Klimas. Statt klimatische Probleme konventionell technisch zu bearbeiten, löst die junge vietnamesische Architektengeneration sie kreativ mit architektonischen Mitteln. Im Gegensatz dazu hat der erste Band ARCH+ 226 Vietnam – Die stille Avantgarde das Augenmerk auf eine sich derzeit vollziehende, einschneidende Wende gerichtet, die das soziale Engagement der Architektur zum Ausgangspunkt einer Neufundierung der Disziplin nimmt. Damit sind die zwei global relevanten Tendenzen benannt, die wir am Beispiel Vietnams behandeln: Neben dem sozialen Bauen eröffnet das klimagerechte Entwerfen der Architektur den Weg zu einer neuen gesellschaftlichen Relevanz.Allerdings bergen beide Tendenzen auch Gefahren: Bei den Ansätzen im ersten Band muss man sich vor einem kulturellen Determinismus hüten. Und ebenso ist bei der Herleitung der Architektur aus den klimatischen Bedingungen im zweiten Band Vorsicht vor einem klimatischen Determinismus geboten. Letzterer neigt dazu, alle kulturellen und gesellschaftlichen Verhältnisse bis hin zu sogenannten "Volkscharakteren" auf das Klima zurückzuführen. Doch neben weiteren Faktoren wie sozialen Einflüssen dürfen wir auch den aktiven Einfluss des Menschen auf seine Umwelt nicht außer Acht lassen. Spätestens mit den anthropogenen Veränderungen des Klimas stellt dieses keinen „quasi zeitlosen, vereinheitlichenden Rahmen historischer Entwicklungen" mehr dar, sondern ist "zu einer dynamischen Größe geworden, die weder über einen stabilen Rhythmus noch über ein gesellschaftlich klar eingegrenztes Wirkungsfeld verfügt", wie Sascha Roesler im einleitenden Essay konstatiert. Der menschengemachte Klimawandel hält sich nicht an hergebrachte territoriale Grenzen. Auch die Einteilung in ein "natürliches" Außenklima und ein "künstliches" Binnenklima sei, so Roesler weiter, mit der Schaffung des anthropogenen "Stadtklimas" obsolet: „Das epistemisch ausschlaggebende Untersuchungsobjekt ist nicht mehr das isolierte Einzelgebäude, sondern das Quartier oder gar die Stadt […]. Die Stadt löst das Gebäude als jene Innenraum konstituierende Sphäre ab, die thermisch und hinsichtlich des Komforts durch Architekten konzipiert werden muss." Die Erkenntnis, dass wir nicht mehr nur Häuser, sondern den Stadtinnenraum bewohnen, führt zu einem echten Paradigmenwechsel. Beispiele dafür sind das House for Trees von Vo Trong Nghia Architects in ARCH+ 226 oder das Saigon House von a21studio in dieser Ausgabe. Deren Ansätze zeichnen sich dadurch aus, dass sie keinen kontinuierlichen, abgeschlossenen Innenraum mehr besitzen, sondern die Funktionen in separaten Volumen untergebracht sind. Das Aufbrechen der Form aktiviert die Zwischenräume und führt zu komplexeren Beziehungen zwischen den individuellen und gemeinschaftlichen, den privaten und öffentlichen Bereichen, zwischen innen und außen, künstlich und natürlich. Die Aufhebung dieser Gegensätze erlaubt es, die Architektur "als Teil einer politischen Ökologie der Stadt neu zu denken", wie Roesler in Anlehnung an Bruno Latour argumentiert. Gleichzeitig können wir dadurch der Gefahr entgegenwirken, dass die Rückkehr des Klimas in die Architekturdebatte in eine regressive Bewegung mündet, die die moderne Lebenswirklichkeit mit ihren vielfältigen Ansprüchen negiert." Anh-Linh Ngo für arch+.